Future Sushi
Die japanische Medienkünstlerin Etsuko Ichihara entwickelt Installationen und Objekte, die sich mit der japanischen Kultur, Bräuchen und spirituellen Glaubensvorstellungen auseinandersetzen und diese über technologische Ansätze neu interpretieren. Dabei entwickelt die Künstlerin robotische Akteure, die in Performances oder performativen Installationen in eine Interaktion mit dem Publikum treten.
Mit der Installation „Future Sushi“ reagierte die Künstlerin einerseits auf die während der Coronapandemie vorherrschenden Bedingungen in Bezug auf das öffentliche Leben und andererseits auf die Frage nach traditionellen Gerichten angesichts der Veränderungen der Umwelt. Wie Ichihara in einem Gespräch mit dem esc medien kunst labor bemerkte, hätte sie während der vielen Lockdowns die portionierten Speisen und Getränke, die während einem Flug serviert werden, vermisst. So entstand die Idee, sich künstlerisch mit traditionellem Essen zu befassen. Durch die Pandemie mussten zudem zahlreiche Sushibars schließen. Außerdem wird das Problem der Überfischung im Zuge der Umweltkrise immer größer. „Future Sushi“ befasst sich mit jenen Veränderungen, die mit der Zeit auch die traditionelle Speise „Sushi“ verändern werden.
Es entstand eine Sushi-Bar als performative Installation: Ein Roboter mit dem 3D-gedruckten Gesicht eines Menschen möchte die Besucher:innen zum Konsum von Sushi animieren. In einer surrealen Szenerie werden scheinbar traditionelle Gerichte angeboten. Bei näherer Betrachtung erkennen die Besucher:innen allerdings die fantastisch anmutenden Kreationen: Was zuerst wie ein klassisches Nigiri-Sushi aussieht, offenbart sich als Mais auf Reis, traditionelle Maki werden zu einer Rakete, Sashimi wird entsprechend der grell bunten Farben wohl im Labor gezüchtet. Insgesamt erinnert die Sushi-Bar an ein Restaurant, wie man es sich in einer anderen Galaxie auf einem fremden Planeten in einem Science-Fiction-Roman vorstellen würde. Ichihara lenkt damit den Blick darauf, wie sich Traditionen rund um das Thema Essen über die Zeit und durch Einflüsse der Umweltkrisen oder sozialen Bedingungen (in Bezug auf die Coronapandemie) verändern.
In der Installation im esc medien kunst labor wird die Künstlerin selbst per Videoprojektion zum Sushi-Meister. Eine virtuelle Version der Künstlerin informiert uns über die unterschiedlichen Speisen. Die unterschiedlichen Zutaten der Sushi-Kreationen sind in englischer und deutscher Sprache in der Ausstellung nachlesbar.
Das Sushi selbst weist dabei auf das hin, was die Künstlerin zwischen den Zeilen erzählt: Überfischung und Umweltkatastrophen haben dazu geführt, dass das traditionelle Gericht „Sushi“ in neuer Verpackung erscheint. Die futuristische Vision von Sushi, die mit traditionellen Techniken aus natürlichen Materialien wie Holz, Bambus und Papier gefertigt ist, greift Fragen nach der Zukunft des traditionellen Essens ebenso auf wie jene nach der Versorgung in Bezug auf die Thematik der überfischten Ozeane.
Die Beschäftigung der Künstler:innen mit dem Thema Essen ist kunstgeschichtlich gut dokumentiert: Die Traditionslinie reicht von Giuseppe Arcimboldos manieristischen Porträts über Daniel Spoerris Eat-Art-Projekte bis hin zu zahlreichen Künstler:innen, die in Galerien, Kunstvereinen oder Museen für das Publikum kochten, etwa Rirkrit Tiravanja oder Matthew Ngui. Der Bewegung des Fluxus zugehörig, befasste sich auch der Medienkunstpionier Nam June Paik mit dem Essen als Thema der Kunst. Der Künstler veranstaltete 1990 in Seoul ein koreanisches „kut“ – ein Fest, bei dem böse Geister ausgetrieben werden sollen. Choi Jaewon bemerkte zu dieser Performance: „Durch Zugänglichkeit, Teilnahme, Unbestimmtheit und Performativität – all diese Faktoren sind für die heutige Performance Art wichtig – involvierte Paik das Publikum. Die Grenze zwischen Kunst und Zeremonie wurde aufgehoben […].“
Im Gegensatz zu Paik ist Ichihara politisch motiviert: Umweltkrise und dadurch entstehende Versorgungsprobleme werden auf ein Gericht aus rohem Fisch projiziert. Die Objekte bedienen sich dabei der für eine Sushi-Bar der Zukunft charakteristischen Ästhetik, die unweigerlich Restaurant-Szenen aus Anime-Klassikern wie „Ghost in the Shell“ in Erinnerung ruft, in denen Geisha-Roboter Sake ausschenken.
Dabei versinnbildlicht sich im „Essen“ nicht nur die Nahrungsaufnahme als essenzieller Überlebensfaktor, sondern in der Esskultur – also der kulturellen Dimension der Gerichte wie Sushi – auch eine „identitätsstiftende existentielle Komponente“, wie Jürgen Raap mit Verweis auf Ludwig Feuerbachs Formel „Der Mensch ist, was er isst“ in einem Kunstforum-International-Band zum Thema „Essen und Trinken“ festhält. Dabei spiegelt sich in den verschiedenen Vorlieben – von Wiener Schnitzel, über Lasagne bis hin zu Sushi auch das jeweilige Lebensgefühl und eine „Sehnsucht nach „Authentischem“ […] – anders formuliert: In der Speise drückt sich ein Weltbild aus.“ „Dabei erweist sich die „stetige Verfeinerung der Speisen“ als eine explizite „Konstante in der menschlichen Kultur- und Zivilisationsgeschichte.“ Die Verfeinerung, die uns Ichihara mit ihrer Installation „Future Sushi“ vorschlägt, bezieht sich kritisch auf die momentanen Veränderungen, die durch den Klimawandel und Umweltkatastrophen auf unsere Ozeane und Meere ausgelöst werden, und widmet sich einer zukünftigen Version von Sushi, bei welcher der Fisch ersetzt wurde von in Labor gezüchteten Nahrungsmitteln, die uns kein:e Kellner:in freundlich serviert, sondern ein Pepper-Roboter, der unsere Bedürfnisse in Sachen Nahrungsmittelaufnahme anhand unserer Mimik und Gestik eruiert – hier vertreten von einer virtuellen Version der Künstlerin selbst, die uns ihre Sushi-Kreationen vorstellt.
